o.T. Raum für aktuelle Kunst, Luzern, November 2018
Im Türrahmen lehnend, schaue ich in den hellen Raum mit seinen kahlen Wänden: Mein Blick fällt zu Boden, vor meine Füsse und hin zu den Ecken. Dazwischen übersäen weisse Kügelchen und weisse Scheibchen den gesamten graumelierten Boden. Im Spiel mit den weissen Akzenten fällt ihm ein ungewöhnlicher Hauch von Schönheit zu. Die fingernagelgrossen Tupfen erinnern an eine ausgekippte Ladung provenzalischer Minzbonbons. Oder handelte es sich um einen von Hagelkörnern übersäten Parkplatz? Im nächsten Moment erkenne ich die Ordnung, die dem Ganzen innewohnt: Die weissen Kreise sind keinesfalls willkürlich platziert, sie bezeichnen die Eckpunkte linienloser, aneinander gereihter Quadrate, die sich zu einem regelmässigen Raster fügen. Die zuckrig matt-weissen Kugeln wechseln sich mit flächigen Scheibchen ab. Das beidseitig in den Saal einfallende Tageslicht lässt die Kugeln kleine Schatten werfen. Dadurch werden sie in ihrer Plastizität geschärft und von den flachen Kreisen abgesetzt. Minutiös hat der Künstler jeden einzelnen Punkt gesetzt und befestigt, die Abstände millimetergenau austariert und den Raum damit subtil, doch exakt ausgelotet und vermessen. Die Grössenwahl der weisslackierten Stahlkugeln ist wohl überlegt: die Perlen sollten nicht „schmürzelig“ aber auch nicht zu gross und zu objekthaft wirken. So seien auch die lackierten Stahlscheibchen in demselben Durchmesser ausgestanzt worden, so der Künstler.
Ungeachtet der Fragilität der Arbeit werde ich dazu animiert, das Feld zu betreten: vorsichtig setze ich einen Fuss vor den anderen, in die Lücken, zwischen die Tupfen. Nur im Stillstand wage ich den Kopf zu heben. Mit meiner Bewegung ändert sich denn auch meine Perspektive: Einmal springen mir die Diagonalen ins Auge, die sich wie Perlenketten in der Ferne verflüchtigen, dann wieder die Quadrate oder das stringente Wechselspiel zwischen den Objekten und den flachen Punkten, die sich in der Ferne zu Ovalen verzerren. Die Idee zu dieser Arbeit sei ihm vor Ort gekommen, erzählt mir Christoph Eisenring. Die Arbeit sei eigens für diesen Raum entstanden. Doch was genau breitet sich da eigentlich vor unseren Augen aus? Ist es eine Installation, ein Bodenbild, ein Relief? Oder ist es eine Art Spielfeld, in dem wir als Figuren unsere eigene Performance vollziehen? Durch unseren Sichtwechsel bringen wir jedenfalls Bewegung in das vermeintlich feste Gefüge. Ich frage mich, ob das Werk auch im Aussenraum funktionieren würde – auf einem Schulhausplatz oder einer Wiese. Sicherlich würde die Arbeit mein Blickfeld durchkreuzen und meine Aufmerksamkeit gewinnen. Doch welche Rolle spielt dabei meine Vorstellung von Kunst, mein Bewusstsein darüber, dass ich mir gerade Kunst anschaue? Prägt meine Wahrnehmung das Sein eines Kunstwerks, gibt sie ihm gar seine Daseinsberechtigung? Was macht ein Kunstwerk zu einem Kunstwerk? Diese vom Künstler mit einem Lächeln als etwas „altmodisch“, von mir als „immerwährend aktuell“ bezeichnete Frage liegt der künstlerischen Praxis von Christoph Eisenring wesentlich zu Grunde. Gestellt werden hiermit Fragen nach der Beschaffenheit und Präsenz, der Definition und der Beziehung von einem Werk und seinem Umraum.
Der Titel der gezeigten Arbeit lautet Konkretes Feld. Schnell wische ich den Gedanken an
die Zürcher Konkreten beiseite – denn damit hätte die Arbeit nur am Rande zu tun, versichert mir Christoph Eisenring. Vielmehr gehe es ihm um das passgenaue, schnörkellose Wort „konkret“. In der Tat: Das Werk affiziert unsere Sinne und lässt uns ganz elementar über die Physis und Dimension seiner Einzelteile nachdenken; über Bewegung und Starre. Die gewählte Nichtfarbe oder besser gesagt das Weiss als Summe aller Farben sorgt dafür, dass wir die Formen nicht mit farblich konnotierter Stimmung aufladen. Vielmehr entsteht eine Spannung
zwischen der Klarheit, der Konkretion der Dinge und der Offenheit, den Möglichkeiten, die ein sogenanntes „Feld“ zulassen. Was geschähe, wenn ich ein Kügelchen anstiesse? Würde die künstlerische Ordnung gestört? Mein Nachdenken über das Wesen von Kunst wurde ins Rollen gebracht, mein Schauen aktiviert. Sinnierend verlasse ich das Spielfeld, blicke vom Boden auf und wünsche mir ein paar tanzende Schneeflocken am Fenster.