Das Museum als Erfahrungszone, Adrian Mebold

Landbote, zur Ausstellung Skeptischer Raum, Winterthur, 25. November 2017

Der Manor-Preisträger Christoph Eisenring hat für das Kunstmuseum eine neue Vision entwickelt: Perspektivisch wird der Bau von Rittmeyer subtil aus dem Lot gebracht.

Christoph Eisenrings Pläne für seine erste Soloausstellung im Kunstmuseum Winterthur hätten auch im Desaster enden können. So tief, konsequent und durchaus kritisch greifen sie in die Architektur des Museumsbaus ein. Nun aber ist die mit «Skeptischer Raum» betitelte Schau für den 34-jährigen Winterthurer Künstler zum Triumph geworden. Auf diskrete Art ambitioniert war der aktuelle Manorpreisträger schon immer. Doch niemals hätte man in seinen früheren Arbeiten, die man zuerst im Oxyd, später in verschiedenen Dezember-Ausstellungen sehen konnte, dieses Potenzial vermutet. Früh hatte Eisenring sein künstlerisches Arbeitsfeld gefunden: Erstens: wahrnehmen. Zweitens: erforschen, was passiert, wenn die Wahrnehmung an ihr Grenzen gelangt und das Geschaute langsam verschwindet und sich stattdessen im Dunkel allmählich eine neue Welt auftut. Und drittens: reflektieren.

Natürlich begibt man sich da auf ein Feld voller Widersprüche, mit wenig Gewissheiten, was dann den Künstler, anlässlich der Annahme des Förderpreises der Stadt Winterthur 2015, zur Aussage verführte: «Mich interessieren Bilder, die sich Gedanken machen über sich selber und ihr Medium.» Kunst als paradoxe Domäne, wo man nachdenken darf über etwas, das es in der Wirklichkeit (noch) nicht gibt?

Unauflösbare Spannung

Vielleicht sind es genau solche Denkansätze, welche Eisenring dazu brachten, dem Kunstmuseum (und dem Besucher) reflektierend zur Seite zu stehen und es aus der räumlichen und institutionellen Fixierungen zu befreien. Nur so lässt sich verstehen, dass er gleich vier zentrale Räume des Kunstmuseums im Innern okkupiert. Auf der Fassade zum Parkplatz hin hat er zudem zwei unscheinbare, lineare Spuren platziert – eine abstrakte Perspektive, die auf irritierende Weise die konkrete, vertikal ausgerichtete Ordnung der Fassade überlagert.

Dieses «Sowohl-als-auch» führt zu unauflösbaren Spannungen. Die Strategie der minimalen Eingriffe oder «Markierungen» setzt Eisenring im Gebäude fort. Drei Museumsräume umfasst der Parcours, der während der normalen Öffnungszeiten zugänglich ist. Für das Herzstück im Impressionisten-Saal braucht es jedoch Dunkelheit, hier gelten daher besondere Öffnungszeiten. Für den Gang dorthin wird man mit einem wunderbaren Wahrnehmungsexperiment belohnt. Tagsüber ist der Saal nun bis zum Ende der Ausstellung nicht zugänglich.

Kollaboration

«Skeptischer Raum» ist ein kollaboratives Werk, das von Eisenring konzipiert, mit der Kuratorin Simona Ciuccio intensiv diskutiert und von den Museumtechnikern umgesetzt wurde und nun vom ganzen Team betreut wird. Alle liessen sich auf das künstlerische Abenteuer ein, das sich Eisenring in einem langen Prozess im Atelier ausgedacht und im Modell getestet hat.

Der Künstler hielt auch in der Umsetzung konsequent an seinem Konzept fest, obwohl er damit die Nerven der Beteiligten strapazierte. So diskret seine Werke sonst auftreten, so offensiv stört der Künstler die beinahe schon heilige Ordnung im stilvoll-wohnlichen Sitzungszimmer, im gediegenen ehemaligen Graphischen Kabinett und dem kleinteiligen Kojensaal. Von der räumlichen Disposition her betrachtet, «umarmen» sie den Impressionisten-Saal.

Überwältigungseffekt

An zwei Orten ist es wiederum ein perspektivisches System, das auf die Tapisserie gelegt wird und so auf der Wand einen illusionistischen Raum erzeugt, der den Charakter des Abgeschlossenen unterläuft. Das ist zwar nicht ganz neu. Aber in diesem Kontext erzeugt die Intervention eine Ambivalenz, deren Wirkung bis in den Impressionisten-Saal hinein zu spüren ist.

Im Graphischen Kabinett, wo einst Oskar Reinhart am langen Tisch seine Schätze ausbreitete, werden die in die Wand eingelassenen, schwarz gerahmten Gläser zum Anlass für ein zweigeteiltes Fenstermotiv, das zu wandern scheint und wiederum die Wand entlang einer Horizontline vertieft und auflöst.

Doch der eigentliche Höhepunkt ist den abendlichen Besuchern vorbehalten, wenn sie sich durch eine Schleuse in den im Dunkeln liegenden Impressionisten-Saal vortasten. Einmal drin, beginnt das Hirn zunächst die vertrauten Werke als Schemen zu halluzinieren, derweil der Körper verunsichert der vermeintlichen Skulptur von Rodin auszuweichen versucht. Alles Einbildung! Langsam gewöhnen sich die Augen – was dabei zu sehen ist, wird hier nicht verraten.

Dann stolpert man ins blendende Licht des Foyers, immer noch überwältigt von den intensiven Eindrücken, und ringt um Worte. Und realisiert, dass man eine ausserordentliche Erfahrung gemacht hat. Ist sie wirklich in Sprache fassbar oder wird sie durch dieses Medium gar zerstört? Es könnte sein, dass sich Eisenring beeinflussen liess vom Überwältigungseffekt der vierhundert Stahlstäbe Walter de Marias in den Weiten von New Mexico («Lightning Field»).

Katalog als Kunstobjekt

Gänzlich von der Hand zu weisen ist die Spekulation jedenfalls nicht, schon gar nicht nach der Lektüre von Roman Kurzmeyers informativem Katalogtext. Der Basler Kurator stellt Eisenrings jüngste Arbeit in eine Linie mit minimalistischen Raumexperimenten und mit der Land-art amerikanischer Künstler in den 1960er und 1970er Jahren.

Neben Simona Ciuccio und Dieter Schwarz steuerte Eisenring selbst einen Text bei: ein Gespräch mit einem Sicherheitsangestellten über dessen zum Teil schmerzhafte Erfahrungen bei der Nachtarbeit. Der Katalog enthält keine Fotos und vermittelt genau die Ambivalenzen und Paradoxien, die Eisenrings Oeuvre prägen: das Insistieren auf dem Konkreten, das unabweisbar ist, und die Setzung des Abstrakten, die das Reale zum Verschwinden bringt. So hüpft man als Betrachter hin und her und schaut im Flug hinunter auf das Dazwischen, wo man das Werk vermutet. Das ist mehr als eine gymnastische Übung.