Fossiles Weltwunder, Daniel Morgenthaler

Eigentlich ist er das Gegenteil einer:s Archäologin:en. Der Künstler Christoph Eisenring arbeitet oft mit Abgüssen von alltäglichen Dingen. Eine frühere Arbeit von ihm heisst «Hohle Birne» – und ist der Abguss einer Birne. Die aus diesen Abgiessprozessen resultierenden Werke könnten die Fossilien unserer Zeit sein, die jemand aus der Zukunft zu uns zurückgeschickt hat. Vielleicht gibt es dafür ein anderes Fremdwort – ein:e Archäolog:in der Zukunft, die:der schon jetzt die Fossilien der Gegenwart macht, die dann irgendwann ausgewertet werden können. Nur kennen müssten wir es noch.

Mit was für einem Fossil aber haben wir es hier zu tun? Was wie die unzähligen Einzelelemente einer organisch inspirierten Architekturfassade wirkt, ist ebenfalls ein Abguss, ein Gipsabguss. Die Urform ist weg – so weg wie der Ausstellungstitel: ausgetrunken, zerbrochen, geschmolzen. Der hier verewigte Moment ist ebenfalls für immer vorbei, es bleibt nur der fossile Kater (oder der Kater nach dem fossilen, auf Erdöl angewiesenen Zeitalter?). Jetzt sollte das Rätsel langsam gelüftet sein, für Sie als Gegenwartsarchäolog:in: Christoph Eisenring hat für dieses Kunstwerk eine Champagnerpyramide abgegossen, die einzelnen Elemente der Gipsplastik sind Abgüsse der Leerräume zwischen den Gläsern. Die Gläser sind voll gewesen, es ist also der Moment der Party, an dem die Verdrängung der Realität am konsequentesten ist. Der Moment, bei dem das spektakuläre Reenactment des einzigen noch erhaltenen und stehenden Weltwunders seinen Höhepunkt findet – statt aus ägyptischem Stein ist die Pyramide diesmal aus Gläsern, und dann erst noch mit herunterperlendem Champagner, der alle Gläser ohne grosses Getropfe schön füllt. Oder auch der Moment, in dem der Champagner-Kapitalismus im Technorama angekommen ist.

Auch der markante Sockel dieser Pyramide birgt ein kleines offenes Geheimnis: Christoph Eisenring hat ihn aus der Bibliothek des Helmhaus, wo er als Sitzungstisch gedient hat, einen Stock tiefer in den Ausstellungsraum verlegt. Statt einer trockenen Sitzung findet nun eine feuchtfröhliche Party daran und darauf statt. Hat stattgefunden. Wird stattgefunden haben? Der Künstler ist nicht nur das Gegenteil einer:s Archäologin:en, sondern eigentlich auch das Gegenteil einer:s Künstlers:in: Er arbeitet Teilzeit im Helmhaus in der Ausstellungsorganisation und -administration. Diese Realität – dass Künstler:innen aus ökonomischer Realität heraus auch oft als ihr eigenes Gegenteil arbeiten – wird hier ebenso thematisiert. Oder gar gefeiert?

Eigentlich ist das hier das Gegenteil einer Champagnerpyramide. Jetzt können wir sagen, dass wir auch das mal gesehen haben. Gesehen haben werden.