Über Gegenüber, Maria Becker

Galerie Gisèle Linder, Basel, März 2016

Man sieht ein Objekt, das an einen Autoreifen denken lässt. Doch etwas ist anders an der Gipsgestalt. Es ist eine Empfindung, wie man sie hat, wenn man das Innere einer Maske betrachtet: Man sieht den Abdruck einer plastischen Form. Christoph Eisenring hat für seine Arbeit Semperit einen Abguss vom Inneren eines Autoreifens gemacht. Der Titel weist unmissverständlich darauf hin. Doch das Objekt changiert, es ist plastisch und teilt sich dem Auge dennoch als Hohlraum mit. So entsteht ein optisches Wechselspiel, das den Betrachter nicht ganz gewiss werden lässt. Ein Hin und Her der Wahrnehmung, das ebenso subtil wie nachdrücklich ist.

Das Spiel zwischen Innen und Aussen und das Kippmoment des Sehens sind kennzeichnend für die Arbeiten von Christoph Eisenring. Sie involvieren den Betrachter fast ohne dass es ihm bewusst wird. Über Gegenüber ist der Titel seiner Ausstellung in der Galerie Gisèle Linder. Das Gegenüber ist der Betrachter, aber ebenso das Objekt, dem er gegenüber steht. So ist auch hier ein Wechselspiel erkennbar. Das Bild oder Objekt offenbart aus der Nähe, dass es anders konstituiert ist. Ein Band wird zum Spiegel, ein greifbar scheinendes Relief entpuppt sich als Fotografie. Die Erscheinung der Dinge ist trügerisch, und die Kunst von Christoph Eisenring lotet diese Ambivalenz aus. Meist zeigt sie sich gerade an den Dingen des Alltags, deren Gestalt uns so selbstverständlich ist wie die eigene Hand. Doch genau im Selbstverständlichen liegt das Unbekannte. „Um etwas interessant zu finden, muss man es nur lange genug betrachten“, sagte Gustave Flaubert.

Die Form eines Tellers schwebt zart auf weissem Grund. Die Schatten der Ränder und die nuancierte Grautönung zeigen an, dass es die Unterseite ist, auf die man blickt. Im ersten Moment ertastet das Auge ein feines Relief, so plastisch erscheint die Fotografie. Es ist eine Ästhetik des Fast-nicht-Sichtbaren, die Christoph Eisenrings Fotoarbeiten auszeichnet. Das Objekt steht im leeren Umraum, der genauso wesentlich für das Werk ist wie das Motiv. Die Leerflächen sind grundsätzlich Teil seiner Arbeiten und bilden zusammen mit dem Rahmen eine unverrückbare Einheit, sagt Christoph Eisenring. Die Einheit von Motiv und Grund ist konstitutiv für das Werk und bildet erst das Ganze.

Dies gilt auch für die Wandarbeiten von Christoph Eisenring, wie zum Beispiel der grosse Scherenschnitt Einteiler. Das tiefschwarze Papier hat er in der Form einer Spirale mit dem Skalpell ausgeschnitten. Diese gewinnt ihre Präsenz ebenso durch den Grund, auf dem sie steht, wie durch ihre Form. Auch hier gibt es eine Ambivalenz der Erscheinung: Was auf den ersten Blick wie ein Grenzzaun wirkt, ist hauchdünn und fragil. Plastizität entsteht bei dieser Arbeit allein aus dem Zusammenspiel von Form und Grund. Der leere Umraum ist auch hier wesentlich.

Fotografien, Wandarbeiten und Objekte sind bei Christoph Eisenring nicht grundsätzlich einem Medium zuzuordnen. Sie spielen mit den spezifischen Eigenschaften des Mediums, travestieren es sogar. Die Irritation des Betrachters ist ebenso Teil der Arbeiten wie die subtile Setzung. Der visuelle Witz, der ihnen eigen ist, zeigt uns, dass im Gegenüber stets auch etwas anderes sichtbar wird.